Florian
Kronbichler


Nicht mauern, reden!

Nach den widersprüchlichen Meldungen über das, was am Brenner in diesen Tagen vorgeht, habe ich gestern Abend in einem Schreiben an den österreichischen Botschafter in Rom, Herrn Renè Pollitzer, um eine dringende Aussprache ersucht.
Es ist zu diesem Zeitpunkt nur klar, dass bereits mehrere Ideale schweren Schaden genommen haben: der Primat der Humanität vor der Ökonomie, die Glaubwürdigkeit Europas als Raum der Bewegungsfreiheit für Menschen und Waren, die Idee der Europaregion Tirol als gemeinschaftliches politisches Subjekt und nicht zuletzt das Verhältnis der Republik Österreich zu seinem Schutzmündel Südtirol.
Unklar ist, worin der größere Schaden besteht: Ob in der Tatsache selbst, dass es am Brenner den berüchtigten Sperrzaun demnächst gibt. Oder ob Österreich mit seiner Mobilmachungsrhetorik Flüchtlinge gleich wie Partnerländer nur beeindrucken will.
Beides ist gleichermaßen verwerflich. Mir liegt es fern, die Brennergrenze mit zusätzlichem Pathos symbolisch aufzuladen. Jedoch steht bereits jetzt schon fest: Österreich hat mit seinem Vorgehen alle Hoffnungen, die wir mit Begriffen wie Schengen, Europaregion Tirol, Schutzmacht oder Europa ohne Grenzen verbunden haben, zu Illusionen degradiert. Österreich ist entweder entschlossen, fragwürdige Taten zu setzen, oder es hat ein Kommunikationsproblem.
Schaden entsteht in beiden Fällen. Bei allem Verständnis für die Notlage unseres Schutzlandes und in Anerkennung der Leistungen, die dieses für die Flüchtlinge bereits erbracht hat, die Mobilmachung am Brenner findet bei keinem demokratischen Partnerland Verständnis: nicht in Südtirol, nicht bei Italien, und selbst der Papst hat für seine Verhältnisse klare Worte des Bedauerns gefunden.
Die derzeitigen Migrationsbewegungen sind (hoffentlich) eine Ausnahme. Und sie rechtfertigen Ausnahme-Maßnahmen. Doch darf gefragt werden: Was ist das für grenzfreies Europa, was für Europaregion Tirol, was für Schutzverhältnis Österreich-Südtirol, wenn es den Ausnahmen solcher – letztlich immer noch bescheidenen – Art nicht standhält und mit Grenzzäunen reagiert? Es muss jetzt miteinander geredet werden. Sofort und beharrlich.
La foto della manifestazione al Brennero è di Gilberto Cavalli.

Florian Kronbichler

Discutere su Facebook


Flor now
Facebook Link