Florian
Kronbichler


Die Wipptal-Wallonen

Was wäre gewesen, wenn Landeshauptmann Kompatscher und Landesrätin Stocker an diesem Vorabend zu Allerheiligen zum „Schluss“ in die Spitalskapelle in Sterzing gekommen wären? Wären sie noch „umgefallen“? In der Sprache des Sterzinger Widerstands müsste es heißen: Hätten sie es doch noch „eingesehen“? Sie waren aber nicht da. Wer den beiden nicht ganz übel gesinnt ist, wird ihnen gönnen, dass es ihnen erspart geblieben ist.

Zu innig, zu nahegehend, zu widerspruchsunfähig war die Feier. Der Landeshauptmann hätte vermutlich seinen Standpunkt ein weiteres Mal erklärt (denn wie immer ist er überzeugt, wer anders denkt als er, tut das nur, weil es ihm nicht genug erklärt worden ist), und die Landesrätin hätte Rührung gezeigt, um abschließend märtyrergleich zu sagen: „Einer muss es tun.“ Sie wussten: gescheiter nicht hingehen. So eine überzeugte und zivilisierte Trauergemeinde (denn eine solche war es) ist für Täter die größte Grausamkeit. Tausendmal grausamer als jede gewalttätige Demonstration.

Was war? Nicht viel. Es war wie beim Begräbnis eines lieben Menschen: Alle sind auf sein Sterben vorbereitet. Zu erwarten, er werde es doch noch derpacken, ist mehr Pflicht als Überzeugung. Und jetzt ist er eben tot. Vielleicht kam bei der Verabschiedungsfeier von einer Krankenhausabteilung an diesem Abend etwas gar zu viel an Symbolik zusammen: Schauplatz die Kapelle; es ist Allerheiligen-Vorabend; der Kapuziner spricht; wir sprechen nicht Schlachtrufe, sondern Fürbitten; am Ende beten wir zusammen das Vaterunser.

Und doch, Requiem war die Geburtenabteilungs-Abschiedsfeier von Sterzing keines. Dafür machten die Wipptalerinnen von gestern einen viel zu entschlossenen Eindruck. Die werden weitermachen und der Landesrätin Stocker noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Pater Meinrad wird weiterhin nicht Ruh geben. Was dieser Kapuziner sich die Sache des Sterzinger Krankenhauses und seiner Menschen doch zum Herzensanliegen gemacht hat! Wenn ich vom Pater Haspinger Tirol anno neun Gedenkens nicht eine so schlechte Meinung hätte, dieser Pater Meinrad hat alles Zeug zum moralischen Haupt eines Widerstandskampfes, eines friedlichen freilich. Ein Wipptaler Gandhi! Heißen wir ihn so.

Es kam aber schon auch die weltlich-aufklärerischen Gemüter der Kundgebung auf ihre Kosten. Sie sprach Primar Franz Ploner an, der Kopf des Sterzinger Widerstands. Wie oft wohl hat dieser Arzt den Obristen der Südtiroler Sanität vorgerechnet, dass Sterzing seine Geburtenabteilung sehr wohl fachlich gut führen kann, dass sie wirtschaftlich kein Klotz am Bein des Landesgesundheitsbetriebs ist und dass die Menschen des Wipptals sie sich verdienen. An diesem Vorallerheiligenabend ist ihm Siegfried Gatscher, der ehemalige Verwaltungsdirektor des Sanitätsbetriebs mit Argumenten zu Hilfe gesprungen, engagiert bis an die Grenze seiner Beamtenloyalität.

Was vom Sterzinger Abwehrkampf bleiben wird? Ich bin überzeugt: Sterzing wird noch Verdienste fürs ganze Land gehabt haben. Es wird ein kleines Wallonien gewesen sein. Hie die Geburtenabteilung, hie CETA. Um die gebotene Gleichung aufzumachen: Was Wallonien für die ganze EU, das hat Sterzing für Südtirol geleistet. Beide Male geht’s um Rechte. Beide Male, dass der Große nicht nur so mir nix-dir nix über den Kleinen drüber fahren kann. Beide Male um David gegen Goliath. Klar „muss“ am Ende immer der Große gewinnen. Es geht um Gesichswahrung. Die EU, das Land Südtirol dürfen nicht das Gesicht verlieren. Das ist ihnen einen Preis wert. Die Wipptal-Wallonen haben nicht nur verloren.

Florian Kronbichler

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