Florian
Kronbichler


Doppelstaatsbürgerschaft – „diese Schna…“ Alexander van der Bellen steht Rede und Antwort im Europarat

 

Selten hat es mir so leid getan, auf einer Rednerliste zu stehen und nicht dranzukommen. Ich war vorgemerkt und wollte dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen vor der parlamentarischen Versammlung des Europarats die Frage stellen: „Finden Sie, Herr Bundespräsident, in einer italienisch-österreichischen Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler einen Schritt im europäischen Geist? Und befürworten Sie ihn?“

So hätte meine Frage gelautet, ziemlich unverfänglich, wie ich finde, aber ich kam nicht mehr dran. Es hatte mit der langen Rednerliste zu tun, und zum Teil auch mit der aufreizend ausladenden, sehr wienerischen Art zu antworten des befragten Herrn. Schade.

Dafür passte ich den Herrn Bundespräsidenten anschließend vor der Saaltür ab. Wir kennen uns, ich sagte ihm, ich hätte ihn zur Doppelstaatsbürgerschaft fragen wollen, und er drauf: „eine Schna…“. Man zitiert nicht, was Staatspräsidenten off records sagen, auch wenn genug Zeugen mitgehört haben. Ich schreibe Schna…, denn wenn ich „Sch … Pünktchen, Pünktchen schriebe, brächte ich Leser auf noch schlechtere Gedanken. Also eine „Schna…“ sei das alles mit der Doppelstaatsbürgerschaft, aber „eingebrockt“, das sagte Van der Bellen vor einem Pulk Parlamentariern und Journalisten laut und deutlich, „eingebrockt hat das nicht Österreich euch, sondern der Südtiroler Landtag uns.“

Soweit der Südtiroler Teil des Tages. Straßburg, Donnerstag Mittag: Alexander van der Bellen betritt den Saal der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Die Atmosphäre ist eher gespannt als freundlich. Vor einem Jahr – bald nach der Schwergeburt seiner Wahl – besuchte van der Bellen die römische Abgeordnetenkammer. Als er dort mit seiner Gattin auf der Zuschauertribüne erschien, erhob sich die ganze Arena und applaudierte, applaudierte, noch nie erlebte ich, einem Staatsgast im Parlament so hymnisch applaudieren. Und als die Parlamentarier gar nicht aufhörten zu klatschen, und der Gast oben unverkennbar einen Anfall von Rührung erlebte, musste die Präsidentin des Hauses dreinfahren und dankend um Ruhe bitten. Man müsse weiterarbeiten.

Der scheue van der Bellen sollte den Stadionapplaus nicht zu persönlich genommen haben. Mehr als das neue Oberhaupt des Nachbarlandes beklatschte das parlamentarische Italien den Umstand, dass es bei der Stichwahl dann doch nicht der andere geworden war. Nicht der rechte Norbert Hofer. Sinngemäß: Italiens Parlamentarier feierten am „demokratischen“ österreichischen Wahlsieger ihren eigenen Antifaschismus. Das tun sie gern, und ich finde, es kann nicht schaden, auch wenn er mitunter etwas gar zu selbstgerecht klingt.

Ganz anders van der Bellens Auftritt jetzt im Europarat, der ältesten und umfassendsten parlamentarischen Institution des Kontinents (1949 gegründet und 47 Länder umfassend). Österreich hat mit den Wahlen im Oktober tatsächlich den Rechtsruck vollzogen, den man im Jänner vorher mit der Wahl des Bundespräsidenten noch abgewendet zu haben glaubte. Hier, im Europarat, hat niemand Scheu, vom „rechten“, „xenophoben“, ja „faschistischen“ Österreich zu sprechen. Van der Bellen ist auf die Demokratie-Lektion vorbereitet und nimmt Anwürfe und Verdächtigungen so weit möglich in seiner Rede vorweg. Er versichert die Euro-Rat-Parlamentarier der unverbrüchlichen Europa-Treue Österreichs. Europa, das sei jedem Österreicher quasi patriotische Pflicht. Er spricht über Demokratie, Rechtstaat und Rechtstaatlichkeit – alle drei Werte seien „in meinem Heimatland“ Selbstverständlichkeit.

Dann aber gab’s vonseiten der Fragesteller doch die Standpauke über Demokratiedefizit und Fremdenfeindlichkeit. Nicht dass der grünstämmige Präsident alles an seinen Regierungsparteien verteidigt hätte. Das beileibe nicht. Er war tapfer um Verständnis bemüht. „Eines war die Rhetorik als Oppositionspartei, und jetzt, an der Regierung, muss man sehen.“ Van der Bellen zählte auf, wieviel Gutes „Zivilgesellschaft“ für die Flüchtlinge tue. Ja, die österreichische Zivilgesellschaft: Die Österreicher seien schon zivil und gut und demokratisch, weiterhin. Der Präsident tat so, als seien vor diesem Hintergrund Farbe und Wirken der Regierung gar nicht so wichtig. Es gebe in Österreich wohl manch garstiges Gerede, in den sozialen Medien wohl Hasstiraden, „wie überall “, aber es gebe „keine Gewalt, die Situation in Austria ist unter Kontrolle“.

Alles unter Kontrolle? Van der Bellen behauptete das auf eine sehr sympathische, sehr österreichische Weise. Man verstand, er bemüht sich. Die Demokratie sieht er nicht in Gefahr, er gibt eine gewisse „Demokratie-Müdigkeit“ zu. Er findet für den schönen Begriff nicht das passende englische Wort und wiederholt es mehrmals auf Deutsch. Österreich sei normal, darauf legte sein Präsident Wert. Mit normal meint er: so wie die anderen halt auch. „What’s going on in France?“ Überall wehe der Wind von rechts. Da könne man halt nichts machen, außer alles nicht zu schwer zu nehmen. „C’est la vie!“ sagte der Österreicher zum Schluss. Da war ihm schon niemand mehr bös. Und der neue Europaratspräsident, der Trentiner Michele Nicoletti, brach, auf Deutsch einen sehr ökumenischen Alexander-Langer-Satz zitierend, die Anhörung ab.


Flor now
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