Florian
Kronbichler


Mit Alex Langer bei den Preti operai

 

Die Tagung hieß „Memorie per un futuro“, und ein bisschen bös denkend ahnte ich dahinter den üblichen Gewissenskonflikt: Erinnerung und Zukunft, eins und das Gegenteil davon – macht meistens weder noch. Ein Nostalgietreffen eben, das kein solches sein möchte, und deswegen mit Zukunft lockt.

 

Nein, ohne lang drum herum zu kritteln: es war, letztes Wochenende in Bergamo, die diesjährige Tagung der italienischen Arbeiterpriester. Ja, die gibt’s noch. Jene Priester, die in den 1960er und 70er Jahren sich den Anliegen der Arbeiterbewegung verschrieben und ihre Berufung so verstanden, dass sie nur glaubwürdig Priester sein könnten, indem sie selber in die Fabrik gingen und ihr Leben mit den Arbeitern dort teilten. Unvermeidlich, dass diese studierten und hoch motivierten Arbeiter oft zu Anführern der Arbeiter wurden, zumindest zu Gewerkschaftsvertretern.

 

Die Bewegung der Arbeiterpriester nahm ihren Ausgang von Frankreich. Auch in Südtirol schlossen sich junge Priester ihr an. Dies zunächst ausdrücklich mit Genehmigung von Bischof Gargitter. Dass sie später seiner Kontrolle entglitten und er damit nicht glücklich war, ist ein anderes Kapitel. Der neulich für seine sozialpolitischen Verdienste geehrte Josef Stricker war einer von ihnen.

 

Die Bewegung der Arbeiterpriester ist inzwischen abgeebbt, so wie die Arbeiterbewegung selber ja merklich auch, aber es gibt Überlebende. Es gibt die „Vereinigung der Arbeiterpriester Italiens“, sie haben einen Vorsitzenden, eine Zeitschrift sogar, die mehrmals im Jahr erscheint und theologische sowie sozialpolitische Themen behandelt, und sie treffen sich mindestens einmal im Jahr zu einer mehrtägigen Art Einkehr mit Betrachtungen, Gebet und Vorträgen.

 

Etwa zwei Dutzend Arbeiterpriester haben an der diesjährigen Tagung in Bergamo teilgenommen: die meisten aus dem (ehemaligen) Industriedreieck Mailand-Turin-Genua, einige auch aus dem Veneto, der Emilia und der Toskana, alle schon ziemlich in die Jahre gekommen, zwischen 70 und 90, und was auffiel: alle hell wach, illusionslos, aber kein bisschen resigniert, schlagfertig und witzig. Dass sie keinen Nachwuchs haben, hat ihnen nicht den Humor geraubt. Sie sind Arbeiterpriester im Ruhestand, aber deshalb keineswegs im Stillstand. Es reichte, sich den Büchertisch bei ihrer Tagung anzusehen: Was die alles lesen! Was und wieviel! Es ist lang her, dass ich eine Veranstaltung mit einem ähnlich reich bestückten Büchertisch erlebt habe.

 

Der letzte Tag der Arbeiterpriester-Tagung ist traditionell den Vorträgen gewidmet und ist offen für ein weiter interessiertes Publikum. Es wurde diesmal das Werk dreier Persönlichkeiten vorgestellt, die dem Bemühen der Arbeiterpriester besonders nahe standen. Es waren dies Kardinal Carlo Maria Martini, von 1979 bis 2002 Erzbischof von Mailand, der Südtiroler Alexander Langer und der Florentiner Theologe, Philosoph und Reformer Padre Ernesto Balducci.

 

Über Alexander Langer zu sprechen, war ich eingeladen. Gewünscht war eine Vertiefung von Langers innigen Betrachtungen über die Legende vom heiligen Christophorus. Ich habe das versucht anhand von den zwei meiner Ansicht nach bedeutendsten Abhandlungen dieses vor 28 Jahren verstorbenen Südtiroler Denkers und Politikers: seinen „zehn Punkten über das Zusammenleben“ und der Toblacher Rede über die ökologische Wende. Beides verband ich mit Beispielen aus dem Leben des Autors. Alles zusammen führte zu einer regen Diskussion unter den Teilnehmern, und wenn ich die Reaktionen nicht ganz falsch einschätze, ist der Vortrag recht gut angekommen. Unter den Gästen begrüßen konnte ich auch zu meiner Freude auch Alexanders Bruder Martin, Arzt in Mailand, mit seiner Frau Lidia. Das rege Interesse des Publikums galt übrigens nicht nur meinem Vortrag, sondern genauso jenen über Kardinal Martini und Padre Balducci. Und wenn nicht die Vorträge, die Diskussionsbeiträge dazu waren entschieden zukunftsgerichtet. Die Arbeiterpriester – preti operai – sind alte Herren, aber von Ruh-geben: keine Spur.


Flor now
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