Florian
Kronbichler


Heim von Erdogan

Wahlbeobachtern ergeht es wie dem Kapuziner in Friedrich Schillers „Wallenstein“. Der sagt, als er nichts sagen will: „Ich hab hier nur ein Amt, und keine Meinung“. Montag früh. Die Wahlnacht war lang, vor dem Hotel in Erzurum in der Osttürkei warte ich auf den Shuttlebus zum Flughafen. Er kommt nicht. Ich muss ein Taxi nehmen. In was für Türkei bin ich jetzt? Man kann über Recep Tayyip Erdogan alles sagen, aber aufzuräumen versteht er. Der Wahlkampf endete offiziell Samstag-Abend um sechs. Bis dahin gab’s nur ihn. Auf den Straßen, den Plätzen, den Hauswänden, im Fernsehen – nur Wahlpropaganda. Nur für Erdogan.

 

Ab sechs: Alles wie nie gewesen. Im Fernsehen versteht sich’s. Aber wohin war plötzlich der Plakate-Wald, der noch bis vorhin das Stadtbild und sämtliche Ausfallstraßen beherrschte? Da hätten doch Kranwägen, Monteure und Putztruppen auffahren müssen. Noch nie in unserem so effizienten Europa habe ich den Wahlkampf-Ramsch so rasch und so unauffällig verräumt gesehen. Am Wahlsonntag bin ich von früh bis spät kreuz und quer durch Stadt und Umland gefahren und hab kein einiges Wahlplakat mehr gesehen. Bei uns daheim überleben Kandidaten auf den Plakatwänden mitunter die ganze eigene parlamentarische Karriere.

 

Erdogan der Tyrann hat die Wahl gewonnen, als Präsident und als Partei, also zweifach, mehr geht nicht, er ist, wenn er nicht stirbt, für die nächsten fünf Jahre absoluter Herrscher über Europas zweitgrößtes Land (nach Putins Russland). Die neue Verfassung, die seine persönliche ist, gibt dem Präsidenten alle Macht ihm Staat. Im türkischen Fernsehen auf allen Sendern (95 Prozent sind ihm hörig, und bei den Zeitungen ist es ähnlich) gab der Sieger sich patriarchalisch mild, wie Diktatoren es belieben, besonders die demokratischen.

 

Am Flughafen, in der Warteschlange, muss ich ein bisschen traurig dreingeblickt haben. Wie sonst war es möglich, dass mich ein junger Herr sofort kennerisch angesprochen hat: „Scheiße! 20 weitere Jahre keine Hoffnung“. Ich versuchte, nicht zu verstehen. Ich bin Wahlbeobachter, vom Europarat entsendet, nicht Wahlkämpfer, hab nur ein Amt und keine Meinung. Der Mann gibt sich als Kurde zu erkennen. Er ist für diese Wahl eigens aus Dortmund, wo er am Bau arbeitet, in die Heimat zurückgekommen. Die Kurdenpartei HDP „hat’s gut gemacht, hat die angepeilte 10-Prozent-Hürde geschafft“, meine ich, ihn trösten zu können. Vergebene Liebesmüh. Es wäre mehr drin gewesen, antwortet er, „wenn Erdogan nicht so geschwindelt hätte“.

 

Der Enttäuschte bekommt schnell Verstärkung. Landsleute, gleich wie er Kurden, die die Wahlen für einen Heimaturlaub genutzt haben und jetzt wieder nach Deutschland zurück müssen, glauben, in mir einen Sympathisanten gefunden zu haben und reden auf mich ein. Sie zeigen Fotos und Videos auf ihren Handys. Man sieht darauf in den Müll geworfene Stimmzettel, auf denen die Kurdenpartei oder der Hoffnungsträger der Opposition, Muharrem Ince, angekreuzt waren. „Siehst du, alles von Erdogan-Leuten weggeworfen!“ Auf anderen Handybildern sind Polizisten in Wahllokalen zu sehen. Sie hätten da nichts zu suchen. „Einschüchterung!“ Schlägereien sind zu sehen.

 

Ich verrate ungern meinen Auftrag. Wahlbeobachter sein wollen? Und das alles nicht mitbekommen? Ob ich mindestens jetzt, nach Vorlage der „Beweise“ etwas gegen den Wahlschwindel unternähme? Objektivität, ich weiß, „ist Schweinerei“. Für Aktivisten besonders. Kolleginnen und Kollegen Wahlbeobachter beginnen sich in der Whatsapp-Gruppe zu melden. Was sagen wir bei der Pressekonferenz? Es beginnt der zu erwartende Wettlauf um die radikalsten Positionen. Europas Medien erwarten, dass wir ihnen Erdogan den Demokratiekiller liefern. Ausgerechnet österreichische und italienische „Beobachter“, die bei sich daheim nicht die zartbesaitetsten Regierungen haben, werfen sich zu Richtern über Recht und Freiheit in der Türkei auf. Je weiter weg, desto empfindsamer. Die Zeit drängt, am Nachmittag tritt die Beobachter-Oberaufsicht vor die internationale Presse. Die Scharfrichter setzten sich nicht zur Gänze durch. Man einigt sich auf irgendwas um „neither fair nor free“.

 

Weder fair noch frei. Stimmt auch, irgendwie. Ich wollte ja ins Kurdengebiet, in den Südosten, wo es politisch heiß ist. Ich durfte nicht. Den Beobachter-Mandanten Europarat und OESZ wurde von der türkischen Regierung beschieden, es könne dort nicht für unsere Sicherheit garantiert werden. Also für Wahlbeobachtung Sperrgebiet. Seltsame Logik: Dort, wo es brennt, darf die Feuerwache nicht hin. Den ganzen Tag über hören wir dann aus der Gegend von Zwischenfällen, von Schießereien gar und dass 9 Wahlbeobachter, darunter ein Österreicher und vier Italiener, von der Polizei festgesetzt worden seien und sich als Nicht-Wahlbeobachter, jedenfalls nicht offizielle, herausgestellt hätten. Verwirrung stiften und unliebe Fakten als Fake-News enttarnen, gehört zum Instrumentarium der Erdogan-Propaganda, und die Opposition hat daran auch gelernt.

 

Wer Wahlbeobachter sein will – so verdorben bin ich -, glaubt an Wahlschwindel, und entsprechend gern sucht er einen. Wenn also schon nicht ins fälschungsverseuchte, polizeispitzeldurchsetzte, oppositionelle Kurden-Gebiet, so tröste ich mich mit dessen gemäßigteren Nachbarregion. Was ich daraus gestern spät Abend dem zentralen Beobachtungskomitee zu vermelden hatte: protokollarische Ungenauigkeiten, manche nicht bis nur nachlässig gestempelte Stimmzettel-Kuverts, Polizistenpräsenz im Wahllokal, was nicht sein darf, rabiate Wahlsektions-Vorsitzende, leider Frauen (die nicht glauben wollten, dass internationale Wahlbeobachter vorgesehen sind, und einem den Zutritt verwehren), einander an die Wolle geratene Parteienvertreter, die der Vorsitzende uns ungebetenen Gaffern gegenüber als dorfübliche Rauferei verniedlicht. Einen totgeschossenen Parteivorsitzenden gab’s in unserem Bezirk. Aber den habe nicht ich gefunden.

 

Mich Naivling beeindruckt die Wahlfreudigkeit der Menschen hier. Über 80prozentige Wahlbeteiligung. In manchen Wahlsektionen 90 und mehr. Alte Männchen, verschleierte Weiblein. Mütterchen, die erklären, weder lesen noch schreiben zu können, und die deshalb von ihren Söhnen in die Wahlkabine begleitet werden. Oppositionsvertreter giften, es sei die übliche Erdogan-Mobilmachung: die wunderbare Analphabeten-Vermehrung zwecks Mehrheitsbeschaffung.

 

Deshalb „neither fair nor free“. Geht schon in Ordnung. Die Nachwahlnacht biwakiere ich mit Dolmetscherin und Chauffeur im Bezirksgericht von Erzurum. Bis gegen Mitternacht betreten Männer in Polizeibegleitung das Ata-Türk-Zeit-Gebäude. Jeder in der Hand oder auf dem Rücken einen Jutesack. Mich erinnern sie an Erdäpfelsäcke. Es sind aber Stimmzettel samt dazugehörigen Protokollen und Wahlsektions-Utensilien drin. Lässig wirft jeder seinen versiegelten Erntesack auf den Tisch. Als wäre es Trophäen. Längst steht der Sieg des ewigen Recep Tyyip Erdogan fest. Den Mienen der Sackträger ist abzulesen, ob sie Sieg oder Niederlage im Sack haben. In Erzurum Provinz gibt’s nur Sieger.

 

Säcke mit linksoppositionellen Mehrheiten werden nur in den urbanen Zentren an der Westküste eingesammelt. Jene mit Kurdensiegen im Südosten. Die heimliche und die offizielle Hauptstadt, Istanbul und Ankara, die vor einem Jahr beim Verfassungsreferendum noch gegen Erdogan gestimmt hatten, sind diesmal an den Autokraten gefallen. Das schmerzt den geschlagenen Hoffnungsträger Ince von der sozialdemokratischen CHP-Partei besonders. In der goldenen Stadt am Bosporus hatten seine Wahlreden größere Massen angezogen als die des Autokraten Erdogan.

 

Von draußen auf der Straße hörte man hupende Erdogan-Schlachtenbummler herein. Sie haben gewonnen und drehen nun ihre Siegeskarusselle durch die Stadt. Die europäischen Menschrechtsagenturen formulieren Stellungnahmen, so scharf wie für die eigene Legitimation notwendig, so lahm wie vom siegreichen Machthaber erlaubt. Die unterlegene Opposition hinterlegt den ihr gebührenden Protest. Dass es zu Unruhen käme, dafür war der Betrug zu vorhersehbar und sind die Betrogenen zu verschiedenartig. Einige, zum Beispiel die linken Kurdenpartei und ihr in Haft sitzender Spitzenkandidat Selahattin Demirtas, dürfen sich mit dem Einzug ins Parlament ein bisschen als Sieger fühlen, und der geschlagene Hoffnungsträger Muharrem Ince steht mit seinen persönlichen 30 Prozent als moralischer Sieger da.

 

Am Flughafen in Istanbul herrscht Ausnahmezustand. Sämtliche Flüge nach Deutschland sind überbucht. Es sind die Türken und Kurden, die vom Wahl-Urlaub wieder „heim“ fliegen. Und es sieht sich mehrheitlich als Heimkehr der Sieger an. Verschleierte Frauen oder Kinder – sie sind fitter am Smartphon – geben den Männern die Rekordergebnisse durch, die Erdogan in ihren deutschen Wohnländern eingefahren hat. Es gibt Komplimente für die „Daheim-Gebliebenen“ dafür, dass sie so gut gewählt haben, aber für die besseren Patrioten halten die Männer hier schon sich selber.

 

Wie Erdogan-Kreuzfahrer fühlen sie sich (wären sie nicht Muslime). Stolz, persönlich dabei gewesen zu sein. „Erdogan hat unser Land zu dem gemacht, was es heute ist“. Zum besten, versteht sich. Ihr Gastland Deutschland bekommt an diesem Tag keine guten Noten. Die Stimmung in der Flughallenhalle ist ein bisschen, als hätte die Türkei gegen Deutschland gewonnen. Hätte sie, Deutschland wäre nicht ganz unschuldig daran. So sehen es halt die Türken am Tag nach Erdoganien.

 

Foto: Auf Wahlbeobachtungstour über die Hochländer Ostanatoliens. Die Straße versperrend Nicht-Wähler.


Flor now
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