Florian
Kronbichler


Nicht die Politik, ihre Krittler haben verloren

Über das Ergebnis sind wir uns wohl alle eins: Wir haben jetzt den bestmöglichen Staatspräsident und den bestmöglichen Ministerpräsident. Und das Bestmögliche bedeutet diesfalls nicht das geringste Übel. Es ist das Beste, basta. Hätte das Volk seine beiden höchsten politischen Vertreter direkt wählen können, so wie (de facto) in Österreich, Sergio Mattarella und Mario Draghi wären plebiszitär in ihre Ämter gewählt worden.

Drum, was soll all das Gejammer vom Versagen der Politik, dem Ende der Parteien und überhaupt von dem beschämenden, würdelosen, ja, archaischen und weiß Gott noch was für Theaterle dieser Präsidentenwahl? Für einmal sollte ein Vorgang doch auch nach seinem Ergebnis beurteilt werden, und das ist gut. Aber auch der Wahlvorgang selber: Was war denn daran so furchtbar unerträglich? So wie nie dagewesen? So  politikverdrießend? Und halt so unverbesserlich italienisch? Eine einzige Entrüstungsorgie der Politik-Kommentatoren war die Wahlwoche, auch aus Südtiroler Sicht. Aus den Wenigsten sprach wirkliche Kenntnis, die meisten fielen auf durch Gedächtnisschwächen und Nicht-Wahrnehmung der politischen Realitäten.

Alles war schon da, und vieles schlimmer. Da wurden Art und Dauer des Wahlritus’ beklagt, das Alter des Gewählten, der Kummer, dass es keine Frau wurde, dass der Zu-Wählende nicht schon von vornherein feststand, dass das Parlament „gespalten“ war … Schon vergessen, welch wenig erbauliches Schauspiel die letzte Bundespräsidentenwahl in Österreich war?

Ach, diese Spaltung? Alles ist neuerdings gespalten: die Gesellschaft, die Kirche, warum also nicht auch das Parlament? Wussten wir doch, dass es in diesem Parlament keine eindeutige, beschlussfähige Mehrheit gibt. Eine solche gibt es spätestens seit der letzten Parlamentswahl nicht. Es gibt keine „organische“ Mehrheit für die Regierung, warum soll es sie für den Staatspräsident geben? Wir haben grob drei Lager, die sich wechselnd trennen und verschieden zusammentun. Die Rechte, die glaubte, eine Mehrheit zu haben, ließ es drauf ankommen und blamierte sich mit ihrer Elisabetta Casellati. Selber schuld. Eine Rechte, die wochenlang das Land im Glauben lässt, sie würde ernstlich Berlusconi zum Staatspräsidenten wählen, verdient blamiert zu werden. Berlusconi selber kapierte, dass die Stimmen für ihn nicht reichen würden, und verzichtete. Er war somit klüger als alle Berlusconianer und –Innen besonders.

Der Wahlmodus. Als pedantisch bis barock belächelt schon lang. Jetzt kommt „archaisch“ hinzu. Vielleicht, aber wo ist das Problem? Eine gewisse Feierlichkeit verdient der Akt. Alle 1008 Wahlleute sind Berufspolitiker (besser, es wären weniger, aber soweit wird es bei der nächsten Wahl ja sein), sind alle fix bezahlt, niemand bekommt eine Zusatz-Prämie. Das Argument „unsere Steuergelder!“ sticht deshalb eher nicht. Es ist deren Zeit, die sie „verlieren“. Und die Journalisten brauchen nicht unglücklich zu sein darüber, was sie in so einer Wahlwoche alles für Nichtigkeiten in den Rang einer Nachricht erheben können.

Die Dauer der Wahl soll so furchtbar unerträglich gewesen sein. Wir wollen nicht das Konklave zur Papstwahl als Vorbild bemühen, das bis Ende des Kirchenstaates (1870) im Quirinalspalast stattfand, dem heutigen Staatspräsidentensitz. Mattarella wurde erst  im 8. Wahlgang gewählt. Entwürdigend spät? Sandro Pertini schaffte es 1978 im 16. Wahlgang. Da war er 82 und beliebt, bis er mit 89 in den Ruhestand trat. Da verbietet sich doch jedes Genörgel am „zu alten“ 80jährigen Mattarella.

„Der Politik“ und speziell den Parteien wird zum Vorwurf gemacht, dass sie nicht im Vorhinein schon mit einem klar erkennbaren Kandidaten, besser noch Kandidatin in ihr weltliches Konklave gegangen sind. Wer das kritisiert, versteht wenig von Wahlen und hat noch weniger Achtung vor solchen. Die Rechte war diesmal so unklug, dass sie es getan hat. Zuerst Berlusconi, dann Casellati, fast auch schon Casini. Jetzt, hintennach, wirft der vereinte Chor der Kommentatoren dem Parlament vor, es habe die Senatspräsidentin „verbrannt“. Als sei das Majestätsbeleidigung an der „seconda carica dello Stato“. PD-Chef Enrico Letta war klüger. Ihm wurde vorgeworfen, er habe keinen konkreten Vorschlag. Er hatte einen: Mattarella. Und deswegen nannte er ihn nicht. Weil jede zu früh gespielte Karte unvermeidlich verbrannt würde. Vielleicht weil er von den Christdemokraten kommt, hielt er sich die alte Regel des Konklaves: „Chi entra papa esce cardinale“.

Präsidenten reifen meist erst im Wahlprozess heran. In Italien jedenfalls. Ist das skandalös? Spricht es etwa für einen besseren Parlamentarismus, wenn es wie in Deutschland geht? In zwei Wochen (13. Februar) tritt dort die Bundesversammlung mit ihren 1472 Wahlpersonen zusammen und bestätigt Frank Walter Steinmair im Amt des Bundespräsidenten. Beschlossen ist alles längst schon. Weiß nicht, wer sich ernster genommen fühlen darf: die 1472 Deutschen oder die 1008 Italiener? Letztere hatten zumindest so etwas wie eine wirkliche Wahl. Freilich sind die parlamentarischen Verhältnisse in Italien so, dass von vorn klar war, dass keine Partei ihren Favoriten durchbringen würde. Es musste also einer her, gegen den niemand oder halt die wenigsten sein konnte.

Und das war Sergio Mattarella. Ist das schlimm? Es ist eine Wiederwahl, was eine Ausnahme sein sollte, aber vorgesehen ist. Und Ausnahmen haben sich im politischen Italien in der Regel meistens nur zum Positiven ausgewirkt. Ich singe nicht das Hohelied auf Mattarella weiter, aber eine wertvolle Wirkung seiner Wiederwahl sei noch genannt. Er wollte nicht gewählt werden. Auch das gibt’s in Italien. Er ließ sich in die Pflicht nehmen. Ein besseres Vorbild dafür, dass Politik Dienst ist, gibt es nicht. Mit seiner Wahl hat die Politik nicht verloren. Ob verdient oder nicht, sie hat ein Stück Glaubwürdigkeit geschenkt bekommen.


Flor now
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