Florian
Kronbichler


Auf der Sunnenseitn

Wenn Claudia Isam von ihrem Uridlhof in St. Ulrich aus dem Stubenfenster schaut, beschleicht sie gleichzeitig ein bedrückendes und erleichterndes Gefühl. Sie sieht auf den Schattenhang des Grödner Tals hinüber und bemerkt, wie sich im tiefgrünen Fichtenwald über Pufels und Überwasser graue Flecken ausbreiten. Täglich wird der Anblick gesprenkelter. Es ist der Borkenkäfer, Kummer der Förster und aller Waldfreunde in diesem Jahr. Und besonders von Claudia. Sie ist die Umwelt-, Land- und Forstwirtschafts-Referentin im Grödner Hauptort. Und genau beim Gedanken darauf fühlt sie gleich wieder Erleichterung. „Ihr“ Wald ist es nicht.

Noch nicht, und mit ein bisschen bleibt’s dabei. In der Gefühlsregung der Bäuerin als Gemeindereferentin spielt kein bisschen Schadenfreude mit. Claudia Insams Wald, oder sagen wir korrekter: ihr amtliches Hoheitsgebiet liegt am Sonnenhang des Tales und beschränkt sich weitgehend auf den berühmten Raschötzer Wald, ein Wald mit viel Zirmholz und minderwertigen Föhren, was sich in der gegenwärtigen Waldkrise als Vorteil entpuppt. Der Borkenkäfer bevorzugt die fetteren Fichten-Wälder. „Wir sind noch ziemlich heil“, sagt die Oberförsterin.

Man muss Grödner Verhältnisse ein bisschen kennen, um Schreck und Freud der Assessorin zu verstehen. Ihre Zuständigkeit endet an der Gemeindegrenze, logisch, und diese – weniger logisch – folgt dem Grödner Bach, der nur für Ortsunkundige mitten durch St. Ulrich fließt. Amtlich gehört alles, was linksseitig, somit südlich des Baches liegt und bezeichnenderweise Überwasser oder ladinisch Sureghes heißt, zur Gemeinde Kastelruth. Der Borkenkäfer frisst sich also momentan durch Kastelruther Wald.

Drum glückliche Claudia auf der Sunnenseitn! Es ist Hochunserfrauentag, Ferragosto, Zeit, von Schönem zu reden. Claudia Insam führt mit ihrem Mann, Bruno Obletter, den Uridlhof. Ziemlich mitten im Dorf. Einen der ganz wenigen, die es in dieser Tourismushochburg noch gibt. Vier Milchkühe, vier Kälber und eine Kalbin. Bio-Hof seit 1999, als erster in Gröden. Im Sommer alpt und heu’t man auf der Seiser Alm. Die Milch geht um 1,5 Euro ab Hof. Claudia schämt sich nicht, diesen Preis zu nehmen. In Frankreich, weiß sie, kostet ein Liter Milch im Geschäft 2,4 Euro. Einen Zu- oder Nebenberuf trägt es für Bäuerin Claudia momentan nicht. Denn sie ist seit zwei Jahren Gemeindereferentin. Das ist ihr Zu und Neben leicht genug. Seit über zehn Jahren engagiert sie sich in der Gemeindepolitik. Zuerst in der oppositionellen Grünen-nahen Bürgerliste, seit 1915 mehrheitlich in der daraus hervorgegangenen Lista unica unter Bürgermeister Tobia Moroder und in der laufenden Amtszeit, seit 2020, mit diesem als Referentin an der Regierung.

Wie sie es macht? Claudia Insam ist zu klug, treffender gesagt: zu sehr Bäuerin, um nicht auch als Gemeindepolitikerin bescheiden zu sein. „Die Politik macht keine Sprünge, so wie die Natur“, sagt sie. Große Gesten sind ihr verdächtig. Ob sie überhaupt glaubt, dass Politik machbar ist? So gefragt, kommt keine schnelle Antwort. Die gut geerdete und doch schon erfahrene Gemeindepolitikerin vertraut nur kleinen Schritten. „Schritt für Schritt“, sagt sie, „und manchmal kommt dabei etwas Gutes heraus“. Manchmal? „Kleine Schritte!“, wiederholt sie. „Kleinvieh macht auch Mist“. Sie spricht von „Zeitgeist. Der Zeitgeist weht, wo er will“. Klingt fatalistisch und wenig politisch. Claudia erklärt sich: „Wenn etwas nicht in der Luft liegt, nicht im Trend, ist nichts zu machen. Es gilt, den Zeitgeist zu nutzen“.

Der Zeitgeist ist in der Regel schlecht. Riecht nach Mode, nach Angepasstheit, Mitläufertum. Führt St. Ulrichs alternative Ratsmehrheit ihre Gemeinde wohin der jeweilige Zeitgeist grad weht? Die Referentin fühlt sich missverstanden. „Wir sind seit drei Jahren Klima-Gemeinde. Wir leisten Widerstand gegen ein bedingungsloses Ja-und-Amen zur Ski-WM 2029, wir wehren dem Übertourismus. Wir sehen schon, wo es brennt“.

Die Grödner Umwelt-, Wald- und Feld-Verantwortliche lässt sich nicht beirren. „Wir tun was wir können – Schritt für Schritt“, wiederholt sie sich. Ist sie zuversichtlich? Die Bäuerin wird philosophisch: „Der Mensch lernt nur um, wenn es ihm weh tut. Leider“. Und wieder schaut sie aus dem Fenster, hinüber auf den verdorrenden Waldhang, der zu Kastelruth gehört: „So hat sogar der Borkenkäfer seinen Sinn“. Sie sei nicht schadenfroh. Aber sie hoffe, dass die sonnseitigen St. Ulricher mit ihrem noch resistenteren Raschötzer Wald am Schaden der Nachbarn etwas lernen.

Foto: Claudia Insam Obletter, Gemeindereferentin von St. Ulrich


Flor now
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